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Vergleich der Systeme Dreyse und Chassepot im deutsch-französischen Krieg 1870/71
Frankreich zögerte lange mit dem Einführen eines Hinterladersystems. Zwar wurden bereits 1852 Versuche angestellt, man erkannte jedoch nicht die Notwendigkeit eines Systemwechsels. Zunächst galt der Bayonettstoß als die Königstaktik. Aufgeschreckt durch die grandiosen Erfolg der preußischen Armee in der Schlacht bei Königgrätz, 1866 die mit Hilfe des Dreysezündnadelgewehrs errungen wurden, führte die französische Armee das Zündnadelsystem Chassepot mit der Bezeichnung "Fusilmodèle 1866" ein. In Königgrätz zeigte es sich, daß ein präzise schießender Vorderlader und die alte Bayonettstoßtechnik gegen ein Schnellfeuer der Hinterlader (zudem noch aus der Deckung) unterlegen war. Das französische Modell basierte auf dem preußischem Modell und führte einige Verbesserungen ein. Damit war das (immerhin 30 Jahre ältere) Dreysesche Sytem eigentlich technisch überholt. Rechnete man vorher 300 Zündnadelgewehre zu 900 Miniégewehre, so rechnete man nun 300 Chassepotgewehre zu 500 Dreysegewehre. Versuche mit dem Chassepotgewehre wurden in dem Krieg 1870/71 durch hohe Verluste bestätigt und die unbesonnene Stoßtaktik wurde von König Wilhelm I., nach mörderischen Angriffen bei Gravelotte und St.Privat verboten. Trotzdem blieb die deutsche Armee zumeist Herr der Lage auf dem Gefechtsfeld. Auch sie mußte nun das Feuergefecht beim Angriff schon auf weitere Entfernung beginnen, um gegen das heftige und weittragende Feuer der französischen Infanterie ein annäherndes Gleichgewicht herbeizuführen.
Vergleich der Systeme technisch:
| Chassepotgewehr | DreyseZN M/41 |
Länge | 1310 mm | 1424 mm |
Gewicht | 4,1 kg | 4,57 kg |
Lauflänge | 797 mm | 865 mm |
Kaliber | 11 mm | 15,54 mm |
Geschoßgewicht | 25 g | 38,5 g |
davon Pulverladung | 5,68 g | 4,85 g |
Züge | 4 | 4 |
Drall | Linksdrall | Rechtsdrall |
Breite der Züge | 4,5 | 6 mm |
Tiefe der Züge | 0,3 mm | 0,78 mm |
Drallänge | 550 mm | 732 mm |
Drallwinkel | 3 Grad 36 | 3 Grad 47 |
Anfangsgeschwindigkeit | 436 m/s | 296 m/s |
Oben: Gewehr System Chassepot Unten: Gewehr System Dreyse
Vergleich der Systeme taktisch:
Angaben umgerechnet aus Schritt | Chassepotgewehr | DreyseZN M/41 |
Erhebung der Flugbahn über die Visierlinie (Kulminationspunkt) 301 m Entfernung | 958 mm | 1496 mm |
Überstrichener Raum bei infanteristischem Ziel 301 m Entfernung | 135,5 m | 86,6 m |
Überstrichener Raum bei kavalleristischem Ziel 301 m Entfernung | 353 m | 338 m |
Überstrichener Raum bei infanteristischem Ziel 602 m Entfernung | 44,4 m | 36 m |
Überstrichener Raum bei kavalleristischem Ziel 602 m Entfernung | 67,7 m | 55,7 m |
Relative Feuergeschwindigkeit im Tirailleurfeuer 4 zu 3
durch Einsparung eines Ladegriffs:
Chassepotgewehr | DreyseZN M/41 |
Zurückziehen des Schlößchens | Zurückziehen des Schlößchens |
Öffnen und zurückziehen des Veschlusses | Öffnen und zurückziehen des Veschlusses |
Einlegen/einschieben der Papierpatrone | Einschieben der Papierpatrone |
Vorschieben und Schließen des Verschlusses | Vorschieben und Schließen des Verschlusses/Schlag auf Kammerstengel |
| Vorschieben des Schlößchens |
Auszug aus der originalen Anweisung zu den Ladegriffen des preußischen Zündnadelgewehrs
Vorteile des Chassepotsystems:
- Infolge des geringeren Patronengewichts ergibt sich ein möglicherer höherer Munitionsvorrat beim Schützen bei gleicher Gewichtsbelastung.
- Vereinfachung der Ladegriffe.
- Kein Vorschieben des Schlößchens zum Spannen des Verschlusses.
- Kein Schlag auf den Kammerstengelknopf, da die Gasdichtigkeit durch die Puffervorrichting zwischen Drehzylinderverschluß und Laufhülse von vornherein gegeben war. Dieser Umstand wurde allerdings auch durch die Becksche Aptierung erreicht. Jedoch konnte nicht die ganze preußische Armee damit ausgestattet werden.
- Kürzere Zündverzugszeit durch kürzeren Nadelweg, dadurch potentiell bessere Präzision(weniger Zeit zum Verreißen).
Allerdings hatte das französische System auch einige gravierende Nachteile:
- Idealerweise konnte mit dem Vorschieben des Verschlusses die Patrone in die Kammer geschoben werden. Bei zunehmender
Verschmutzung gelang das jedoch meist nicht mehr (womit dieser Vorteil eher theoretisch zu nennen ist).
Der Versuch des Schützen dieses mit der Handkante durchzuführen, führte häufig zur vorzeitigen
Zündung und zu Verletzungen.
- Bei "kleinkalibrigen Systemen" führen die starken Verbrennungsrückständen des
Schwarzpulvers zu starken Verkrustungen im Lauf und in der Kammer, die dann zu Ladeschwierigkeiten
führten. In vielen Fällen konnten die Verkrustungen nur mit Hilfe von Wasser beseitigt werden,
um die Waffe wieder in einen verwendungsfähigen Zustand zu versetzen.
- Der Gummipuffer gewährleistete nach hinten vollständige Gasdichtigkeit, jedoch wurde er durch das Schießen auch
im Mitleidenschaft gezogen und quoll bzw. franzte etwas aus. Auch dadurch wurde der Verschluß schwergängig beim
Schließen. Der Dreyseverschluß blieb leichtgängig auch nach vielen Schüssen.
- Musste das Schloß zerlegt werden, um etwa ein Problem zu beheben oder es zu reinigen, so kann man das Chassepot-Schloß nur mit Werkzeug zerlegen. Das Schloß des Dreyse-Systems läßt sich ohne Werkzeug zerlegen.
- Da die Chassepot-Papierpatrone länger und dünner war als die Papierpatrone des Dreysesystems, bestand eher die Gefahr, daß sie beim Transport in der Patronentasche des Schützens auseinanderbrach.
Die Führung der deutschen Truppen wurde trotzt der Versuche und Kenntnisse über das Chassepotsystem überrascht von den außerordentlich hohen Verlusten. Die französischen Truppen konnten das Feuer auf einer Entfernung eröffnen, bei denen die Schützen mit dem Dreysesystem noch nicht in das Gefecht eingreifen konnten. So mußte auf solchen Entfernungen versucht werden, das Feuer zu unterlaufen oder die Artillerie mußte der Infanterie zur Hilfe kommen.
Deutsche Truppen machten u.a. deshalb gerne Gebrauch von erbeuteten Chassepotgewehren. Insbesonders die Ulanen und Kürassiere, die noch mit Perkussionspistolen M.1823/UM und M/50 bewaffnet waren. Unmittelbar nach dem Krieg wurden daher die Dragoner und Husaren mit zu Karabinern gekürzten Chassepotgewehren und die Ulanen mit den französischen Chassepotkarabinern M1866 ausgerüstet. Nach dem Krieg 1870/71 standen der deutschen Armee 855 000 erbeutete Handfeuerwaffen zur Verfügung.
Zusammenfassung:
Der Aufeinanderprall der preußischen Truppen und der östereichischen Truppen bei Königsgrätz zeigte, daß moderne Militärtechnik mit entsprechender Taktik gegen veraltete Militärtechnik und Taktik siegreich bleibt und dem Gegner hohe Verluste einbringt. Im Fall des deutsch-französischen Krieges 1870/71 war der technische Fortschritt zwar auf der Seite der französischen Armee und forderte auf preußischer Seite hohe Verluste, jedoch wurde der Krieg (nicht zuletzt wegen überlegener taktischer Führung und Opferbereitschaft) siegreich beendet. Es zeigte sich aber auch, daß die Zeit der Papierpatronen vorbei war und die Einführung der Metallpatronen überfällig war. Dies ist jedoch nicht Thema dieser Webseite. Weiterhin zeichnete sich bereits etwas ab, was im Ersten Weltkrieg an der Westfront seinen Höhepunkt fand; die gestiegene Feuerkraft hatte, bei nicht gleichzeitig gestiegener Mobilität, die Feuerüberlegenheit zu Gunsten des Verteidigers verschoben. Was u.a. zu den jahrelangen und verlustreichen Stellungskriegen führte. Erst die Entwicklung der gepanzerten mobilen Einheiten wandelte diesen Umstand wieder (siehe Zweiter Weltkrieg)
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